Neuanfang

Sonnenuntergang in Perdika

Jeden Morgen Tabula rasa – Das bedeutet Reisen für uns

Man meint fast ein Zischen zu hören, wenn der große rot leuchtende Ball das Meer küsst und in ihm versinkt; den Himmel dabei rosa erleuchtet und die ganze Welt in satte, weiche Farben verpackt und quasi in ein Ölgemälde von William Turner verwandelt. Da ist das warme Grün der Olivenbäume, das noch glitzernde Blau des Meeres und der Horizont, der zu beiden Seiten von rosa in einem tiefem Lila ausläuft. So dramatisch und atemberaubend wie jeden Abend ist dieses Spektakel, aber auch genauso abwechslungsreich, denn keiner ist wie der andere. Mal mit Wolken, mal ohne; manchmal in strahlenden Farben, dann wieder eher pastellig. Immer total kitschig wie eins dieser großformatigen IKEA-Bilder, aber Kitsch in dem es gesellschaftlich anerkannt ist, sich drin zu suhlen, denn dieser Faszination kann sich auch der Hartgesottenste nicht entziehen. Unser einziger Termin des Tages, der jeden Abend zu einer anderen Zeit und vor einer neuen Kulisse stattfindet, aber niemals langweilig wird: der Sonnenuntergang.

Sonnenuntergänge und Sternenhimmel

Sternenhimmel über Lefkada

Wir haben schon unzählige gesehen, genossen, gefeiert. Wann ich aber den letzten Sonnenuntergang bewusst angeschaut habe, bevor wir auf diese Reise gegangen sind – keine Ahnung, ich kann mich nicht daran erinnern. Genauso der Sternenhimmel: Die Sterne waren schon immer da und werden es auch immer sein, aber für uns ist das gerade ein völlig neues Erlebnis, ein Ereignis, in das wir jeden Abend mit gleicher Hingabe eintauchen und uns von ihm verzaubern lassen. In der Stadt hatte man ihn fast vergessen, doch jetzt ist er so präsent und mächtig, dass es unvorstellbar scheint, wie wir den ignorieren konnten.

Das sind zwei von unzähligen Dingen, die wir (wieder) entdeckt haben. Städte voller faszinierender Architektur, in denen man das Gefühl hat, in einer anderen Zeit zu sein und durch die Geschichte zu laufen; unterschiedliches Klima, Vegetation und Lebensbedingungen; Menschen, die alle ganz anders ticken und leben; andersartige Mentalitäten, Gewohnheiten, Kulturen und exotisches Essen. Vor allem aber lieben wir die abwechslungsreiche Natur, die wir in jedem Land wieder begeistert neu entdecken.

Es gibt ja noch so viel zu entdecken

So viel, was wir gesehen und erlebt haben, so viel gelacht und tatsächliche Unbeschwertheit wiederentdeckt und auch so einiges, was wir meistern mussten und das uns anschließend stärker gemacht hat. So eine Reise verändert einen. Als wir losfuhren, war das ein Neuanfang, ein leeres Blatt, das wir jetzt neu beschreiben, bemalen oder sonst was damit anstellen können. Jeder Tag ist neu und aufregend, denn man weiß noch nicht, was er mit einem macht. Es gibt noch so viel zu entdecken – in der Welt und in uns selbst. Keine Ahnung, ob man dafür alles hinter sich lassen und auf Reisen gehen muss, aber es hilft einem auf jeden Fall, (wieder) ein Gespür für sich und das pure Leben zu bekommen. An jedem Morgen können wir neu entscheiden, was wir mit dem Tag anstellen möchten – jeden Morgen wieder Tabula rasa.

Über die Autorin

Ramona Pingel

Ramona ist Co-Verlegerin des WNJ-Verlags und arbeitet außerdem als Freie Lektorin. Vor ihrer gemeinsamen Reise mit Uli lebte sie im beliebtesten Viertel Kölns, hatte einen guten Job in einem großen Verlagshaus und genoss das Leben in der Großstadt. Doch nach der Reise kam das alles nicht mehr infrage. Sie wollte unabhängig sein und näher an der Natur. Heute leben Uli und sie, zusammen mit Hund Spencer, in einem Häuschen in der Vulkaneifel, direkt am Waldrand. Ihre freie Zeit verbringt sie am liebsten mit Gärtnern, Yoga und Wandern.

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Goldfischteich

Entscheidung am Goldfischteich – Wie man in 100 Tagen ein ganzes Leben auflöst

Über zwei Monate sind wir jetzt schon unterwegs. Es kommt uns überhaupt nicht so lange vor, die Zeit vergeht einfach so schnell. Genauso geht es uns aus der Rückschau mit der Zeit vor unserer Abfahrt. Was wir da alles erledigt haben und wie schnell das alles plötzlich ging …

Am dritten März hat unsere gemeinsame Geschichte angefangen. Ich hatte mich kurz vorher selbständig gemacht und war in das süße Büro der Filmproduktionsfirma meiner Freundin Jessika mit eingezogen. Hier war noch ein dritter Arbeitsplatz frei und wir hatten Uli angeboten, den mal zu nutzen.

Eine gemeinsame Idee

An diesem Tag kam Uli also zum Arbeiten bei uns vorbei und in einer ruhigen Minute fragte er mich, was ich denn mit meiner Selbständigkeit jetzt vorhätte. Ich erzählte ihm von meinem Plan, ortsunabhängig zu arbeiten und mir einen Bulli zu kaufen. Ich wollte durch Norwegen fahren, bis zum Nordkap rauf und von unterwegs arbeiten. Wenn das gut lief, wollte ich weiter durch Europa fahren. Es stellte sich heraus, dass er sehr ähnliche Pläne hatte.

Also blieben wir in Kontakt, schickten uns Links zu Artikeln, die wir gefunden hatten und schrieben uns unsere Ideen und Vorstellungen. Eine Woche später haben wir uns nochmal getroffen, um ausgiebiger über unsere Pläne zu quatschen. Irgendwann an diesem Abend fragte ich Uli, mit wem er denn fahren wolle. Er sagte: „Na, ich dachte da an dich!“ Daraufhin habe ich nur laut gelacht und gesagt, dass ich mir nicht vorstellen könne, dass wir beide es ein Jahr lang zusammen in einem Bus aushalten würden.

Entscheidung am Goldfischteich

Am 16. März sind wir, zum Todestag eines gemeinsamen Freundes, zusammen zum Friedhof gefahren und anschließend zu Ulis Eltern, wo der Bus unseres Freundes steht. Den hatte ich neu ausgebaut noch nicht gesehen und wir haben ihn uns mal unter der Fragestellung, ob man damit ein Jahr lang reisen könnte, angesehen.

Irgendwann standen wir dann im Garten von Ulis Eltern, am Goldfischteich und ich habe Uli gefragt: „Also gut, auf einer Skala von eins bis zehn – wie schräg wäre das denn wohl, wenn wir zusammen diese Reise machen würden?“ Seine Antwort war: „Zwölf. Aber egal.“

Damit war das entschieden.

Tausend Dinge zu klären

Jetzt galt es, ein Gefährt zu finden (der Bus war, nach einem Abend wilder Umbauzeichnungen und Überlegungen, ausgeschieden), unsere Autos zu verkaufen, zu überlegen, was mit den Wohnungen und all unseren Sachen passieren soll, tausend Fragen zu klären, wie: Wie läuft denn das eigentlich mit der Krankenversicherung? Bus, Van oder Wohnmobil? Was müssen wir denn für ein Jahr alles mitnehmen? Wo sind wir denn gemeldet, wenn wir keinen Wohnsitz mehr haben? Kann man eigentlich normales Geschirr mitnehmen, oder geht das beim ersten Schlagloch kaputt? Und, und, und …

Ein riesiger Berg an Aufgaben und Entscheidungen lag vor uns. Aber das Spannende war, nachdem die Entscheidung für diese Reise einmal getroffen war, lief der Rest fast wie von selbst. Wir waren so Feuer und Flamme für diese Idee und den damit verbundenen kompletten Neuanfang, dass sich alles einfach irgendwie für uns fügte. Und nur 102 Tage später (ja, gut, es waren nicht genau hundert, aber das klingt halt besser), am 26. Juni, ging es los in ein neues Leben.

Über die Autorin

Ramona Pingel

Ramona ist Co-Verlegerin des WNJ-Verlags und arbeitet außerdem als Freie Lektorin. Vor ihrer gemeinsamen Reise mit Uli lebte sie im beliebtesten Viertel Kölns, hatte einen guten Job in einem großen Verlagshaus und genoss das Leben in der Großstadt. Doch nach der Reise kam das alles nicht mehr infrage. Sie wollte unabhängig sein und näher an der Natur. Heute leben Uli und sie, zusammen mit Hund Spencer, in einem Häuschen in der Vulkaneifel, direkt am Waldrand. Ihre freie Zeit verbringt sie am liebsten mit Gärtnern, Yoga und Wandern.

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