Mai 2018

Tempel in Selinunte.

Viele Tempel und die größte Kacke in die wir uns je geritten haben

Junge, Junge, das war vielleicht eine Woche! Wir sind ganz schön rumgekommen und haben viele tolle Sachen gesehen. Und wenn Du uns bei Facebook folgst, weißt Du ja schon, dass wir uns auch so richtig reingeritten haben, in die größte Misere bislang auf dieser Reise …

Tempel in Selinunte.
Tempel in Selinunte.

Letzten Sonntag hatte ich ja meinen Brief damit beendet, dass wir in Selinunte am Strand angekommen waren. Gleich am nächsten Morgen standen wir um Punkt neun Uhr, im Archäologen-Safari-Expeditions-Outfit vor den Toren der archäologischen Stätte, als diese aufgingen. Das war schlau, denn es wurde recht schnell ziemlich heiß und außerdem kamen an dem Tag viele Schulklassen. Hunderte kreischende Teenies mäanderten durch die antiken Ruinen, es klang mehr nach Spaßbad als nach Ausgrabungsstätte. Gott sei Dank bewegten sie sich aber so langsam wie Zombies fort, so dass man ihnen leicht aus dem Weg gehen konnte.
Selinunte ist ein sehr weitläufiges Gelände, mit zahlreichen griechischen Tempeln (nicht, dass wir in den fünf Monaten in Griechenland nicht genug davon gesehen hätten) und der alten griechischen Stadt Selinus, die in der Antike eine der wichtigsten Städte auf Sizilien war.

Platter Reifen – das kann uns nicht mehr schocken

Als wir von unserer Expedition zurückkamen, stand unser Wohnmobil leicht schief. – Wir hatten einen Platten. Eine Schraube hatte sich tief ins Gummi gebohrt. Also erstmal langsam zur nächsten Tankstelle, Luft reinpumpen und den netten Carabinieri, der da gerade seinen Mittagskaffee trank fragen (das heißt natürlich mit Händen und Füßen, denn hier kann ja kein Mensch Englisch; aber unsere pantomimischen Fertigkeiten werden immer ausgefeilter), wo man denn das reparieren lassen könne. Dann in die nächste Stadt geschlichen, zu einem Reifenhändler. Wir waren uns sicher, dass man uns dort sehr geschäftstüchtig auf jeden Fall gleich zwei neue Reifen würde aufschwatzen wollen, was uns mal eben wieder 200 Euro gekostet hätte. Doch stattdessen hat ein sehr netter Mechaniker den Reifen mal kurz geflickt – und das noch zackig vor der heiligen Mittagspause! Statt 200 mussten wir nur 20 Euro bezahlen und schaukelten gut gelaunt weiter, stolz, dass wir solche Dinge inzwischen mit links regeln.

Wieder einmal hatten wir einen ganzen Strand für uns allein.
Kochen mit Aussicht.
Selbst Pepito genießt die morgendliche Aussicht aus dem Bett heraus.
Natürlich haben wir auch hier wieder ein gemütliches Lagerfeuer gemacht und den Sonnenuntergang genossen.

Wir sind dann noch ein Stück gefahren und haben uns einen Strandplatz gesucht. Unglaublich, aber wir finden noch immer schöne Ecken, an denen wir vollkommen alleine sind. So auch in diesem Fall. Den Rest des Tages haben wir also am Strand rumgelümmelt, Uli war schwimmen, und abends gab es unser Lieblingsprogramm: Sonnenuntergang über dem Meer, Lagerfeuer und Sternenhimmel.

Der Garten der tausend Köpfe

Natürlich habe ich mich dem Steinvolk auch kurz vorgestellt.
Skurrile Steinköpfe, soweit man schauen kann.
Hier hat Filippo Bentivegna zu seinem selbst erschaffenen Volk gesprochen.

Inselbewohner sind ja zuweilen ein eigentümliches Völkchen und so gab es auch auf Sizilien jede Menge herrlich verrückte Spinner, die uns ihre Spuren zum Bestaunen zurückgelassen haben. So auch Filippo Bentivegna, der in Sciaccia seinen „Garten der tausend Köpfe“ erschaffen hat. Über eine verschmähte Liebe nie hinweggekommen, ist er zu einem kauzigen Einsiedler mit leichtem Hang zum Größenwahn geworden. Um sein Haus herum hat er Skulpturen (Köpfe) aus Stein gehauen, die sein untergebenes Volk darstellen sollten, dessen König er war. Wir haben sie nicht gezählt, aber es waren auf jeden Fall einige hundert.

Torre Salsa nur mit Allrad!

Von hier oben sieht der Berg gar nicht so steil aus. Aber durch den Schotter hat der Knausi einfach keinen Grip gehabt.

Das Steinvolk hinter uns lassend wollten wir dann zu einem kleinen Nationalpark, über den wir gelesen hatten, dass es da unter anderem einen der schönsten Strände der ganzen Südküste geben soll und dass dieser noch nicht sehr bekannt ist. Der Park, Torre Salsa, wurde vor ein paar Jahren vom WWF ausgezeichnet und gilt noch als Geheimtipp. Nichts wie hin da.
Bald schon endete die asphaltierte Straße und wir hoppelten mal wieder einen schlaglochdurchfurchten Feldweg entlang. Der wurde immer schmaler, das Schilf zu beiden Seiten kam immer näher und irgendwann mussten wir vor einem riesigen Schlammloch doch kapitulieren und uns irgendwie da wieder rauswurschteln. Aber: so leicht geben wir nicht auf, es sollte ja noch einen anderen Weg hineingeben.

Leichte Ratlosigkeit …

Den gab es auch. Man musste nur über eine Kuppe und dann einen Abhang hinunter. Hm, schon ganz schön steil. Aber wir würden einfach einen anderen Weg hinausfahren, nachdem wir den Tag am wunderschönen Strand verbracht hatten. Alle Warnschilder ignorierend (die waren ja eh auf Italienisch) sind wir dem immer abenteuerlicher werdenden Pfad gefolgt. Links der Abgrund vor uns eine einzige Ansammlung von Schlaglöchern, auf einem immer schmaler werdenden Weg.
Plötzlich ein riesiger Graben vor uns. Drüber ging nicht, links vorbei auch nicht. Wieder einmal wurde uns klar, warum das beliebteste Auto der Einheimischen das alte Fiat Panda-Modell mit Allradantrieb ist. Damit kam man leicht links ab Graben vorbei (übrigens Erdbebenschäden – wenn man Warnschilder mal in den Übersetzer eingibt, kann das unter Umständen hilfreich sein). Für uns gab es hier aber kein Vorwärtskommen und so musste Uli, von mir dirigiert, rückwärtsfahren bis er in einem abzweigenden Feldweg drehen konnte. Der Abenteuertrack sah andersrum noch viel gruseliger aus und ich war erleichtert, als wir endlich wieder am Eingang des Parks angekommen waren. Nur noch eben den Abhang rauf und dann wären wir draußen.
Doch daraus wurde leider nichts, denn WIR HABEN VERDAMMT NOCHMAL KEINEN ALLRADANTRIEB!!!!!

Immer wieder haben wir es versucht, mit Anlauf und ohne, schnell, langsam, sogar rückwärts. Doch die Reifen drehten immer wieder durch, Steine flogen wild zu allen Seiten, es roch beißend nach Gummi und aus der Motorhaube fing es an zu qualmen. Keine Chance, da kamen wir aus eigener Kraft nicht mehr hoch. Wir saßen in der Falle.
Was nun? Erstmal cool bleiben, an den Rand fahren und einen Kaffee trinken. Jedem der (mit seinem Allrad-Panda) an uns vorbeikam haben wir dann ein kleines Theaterstück aufgeführt, in dem wir pantomimisch unser Dilemma schauspielerten. Der Höhepunkt des Stücks bildete die Nachahmung eines Traktors, der uns aus unserer misslichen Lage erretten würde. Die Italiener hatten immerhin Spaß an uns, aber leider keinen Traktor; sie wollten aber die Augen offenhalten und sollten sie einen sehen, zu uns schicken. Grazie, Grazie.

Der nette Schäfer fühlte sich sehr für uns Schwachköpfe verantwortlich

Wir haben uns keinen Stress gemacht. Immerhin gibt es schlimmere Orte, an denen man steckenbleiben kann.

Irgendwann hielt der Schäfer des Tals neben uns. Die Schäfer erkennt man hier an einem weißen Kastenwagen, dem vier große, freundliche Hunde folgen. Wenn dann noch ein älterer Herr mit einer Haut, die auf viele Jahrzehnte direkter Sonneneinstrahlung hinweist aussteigt, gibt es keine Zweifel mehr. Der Schäfer war redlich bemüht und fühlte sich auch ziemlich schnell für uns verantwortlich, waren wir doch offensichtlich ziemlich naive Deppen. Mit großen Fragezeichen über unseren Köpfen sahen wir ihm beim lauten Denken zu. Er redete und redete, wog dies ab und jenes; da gäbe es diesen Freund, aber der … war nicht da oder war ein Arschloch – es wurde uns nicht so klar. Jedenfalls musste er jetzt heim zum Essen, es täte ihm sehr leid. Na Klar, das verstanden wir.

Wir richteten uns gerade darauf ein, die Nacht hier zu verbringen und wollten erstmal etwas kochen, denn gegessen hatten wir den ganzen Tag noch nichts. Am nächsten Morgen wollten wir dann hoch zur Straße laufen und da jemand anhalten, der uns helfen könnte.
Doch plötzlich sahen wir ein uns bekanntes Auto wieder über die Kuppe kommen – der nette Schäfer war zurückgekehrt. Mit einem Plan, den er uns gleich aufgeregt erzählte, den wir aber natürlich nicht verstanden. Er fuhr nochmal weg, kam ein paar Minuten später wieder und was immer er vorgehabt hatte, hatte nicht geklappt. Es war schon zu spät am Abend, der Arschloch-Freund wollte nicht mehr ausrücken. Morgen würden wir bestimmt Hilfe bekommen. Alles klar, kein Problem, wir hatten ja alles was wir brauchten; inklusive einem wundervollen Ausblick über das malerische Tal.

Der Schäfer hat uns nicht im Stich gelassen

Kette dran und ab gings. So routiniert, als würde er jeden Tag dumme Camper hier rausziehen.

Aber kaum war der Schäfer verschwunden, tauchte ein weiterer Fiat Panda mit einer Familie drin auf. Die wussten schon Bescheid, der Schäfer musste sie geschickt haben. Via Handy-Übersetzer machten sie uns klar, dass sie in einer Stunde zurückkommen und uns helfen würden. Wir sollten da stehen bleiben! Sehr witzig …
Eine knappe Stunde später hörten wir in unserer Landidylle plötzlich ein lautes Knattern und von den letzten Sonnenstrahlen des Tages angeleuchtet, kam unsere glorreiche Rettung über die Anhöhe geschossen: ein blauer Traktor. Tadaaa!! Routiniert, als würde er täglich dumme Touristen mit ihren Wohnmobilen hier unten rausholen, befestige der Familienpapa von vorhin eine Kette an unserem Bus und zog uns, natürlich gleichzeitig noch telefonierend, mal eben einhändig da raus. Sechs Stunden hatten wir in der Falle gesessen (waren zwischendurch nochmal zur kaputten Straße zurückgefahren, um auszumessen, ob wir da nicht doch vielleicht irgendwie durchkämen), wir waren wirklich sehr dankbar. Aber pleite. Unser letztes Bargeld hatten wir für den Eintritt zum Steinvolk ausgegeben und noch keinen Bankautomaten gefunden.
Den angebotenen Wein lehnte unser Erretter ab, er trinke nicht. Er zeigte auf den Traktor, Geld für Benzin wollte er haben. Ja klar, bloß wir hatten halt keins. Wieviel er denn wolle. Fünf, zeigte er. Ach, na fünf Euro für Benzin würden sich doch noch auftreiben lassen. Wieder hüpften Uli und ich ins Wohnmobil und suchten in jeder Ritze nach Kleingeld. Unseren gesamten Schatz brachten wir vor ihn hin, doch er winkte nur ab. Wir sollten ihm folgen, er würde uns zum Bankautomaten bringen.

Wieder fuhr er telefonierend vor uns her und an seinem Haus angekommen, wartete schon seine Frau auf uns, die im Kleinwagen das letzte Stück vor uns ins Dorf fuhr. Langsam dämmerte uns, dass soviel Aufwand wohl kaum wegen fünf Euro betrieben wurde. Am Automaten angekommen, wollte die noch geschäftstüchtigere Ehefrau 100 Euro von uns. Sie sah aber auch gleich ein, dass das jetzt mal echt übertrieben war und wir zahlten 50. Jetzt machten auch die ganzen Gesten des Schäfers für uns Sinn: er hatte nach anderen Lösungen gesucht, weil er wusste, dass der Kerl uns abzocken würde.

Wie auch immer, wir waren wieder frei und mit lautem Quietschen und Scheppern – nach der Aktion sind unsere Stoßdämpfer endgültig im Eimer – haben wir uns auf irgendeinen Parkplatz verkrochen und sind ziemlich früh eingeschlafen …

Wir ruhen uns von unserer aufregenden Zeit erstmal ein paar Tage am Strand aus!

Über die Autorin

Ramona Pingel

Ramona ist Co-Verlegerin des WNJ-Verlags und arbeitet außerdem als Freie Lektorin. Vor ihrer gemeinsamen Reise mit Uli lebte sie im beliebtesten Viertel Kölns, hatte einen guten Job in einem großen Verlagshaus und genoss das Leben in der Großstadt. Doch nach der Reise kam das alles nicht mehr infrage. Sie wollte unabhängig sein und näher an der Natur. Heute leben Uli und sie, zusammen mit Hund Spencer, in einem Häuschen in der Vulkaneifel, direkt am Waldrand. Ihre freie Zeit verbringt sie am liebsten mit Gärtnern, Yoga und Wandern.


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Gibellina

Die Salinen von Nubia und eine Stadt unter weißem Beton

Wir sitzen wieder im Sattel und freuen uns, nach der längeren Auszeit am Strand vor dem Monte Cofano, in der wir sehr das Beachlife genossen und viel gearbeitet haben, wieder unterwegs zu sein, was zu erleben und faszinierende Orte zu sehen. Besonders nach den letzten Tagen, in denen es immerzu geregnet hat, tut es unwahrscheinlich gut, wieder aus dem kleinen Schuhkarton, der unser Zuhause ist, rauszukommen und die Nase in Wind und Sonne halten zu können.

Wir haben uns mal wieder selbst in die Bredouille gebracht

Unser Loskommen gestern war allerdings ziemlich abenteuerlich …
Vor einigen Tagen ging ein heftiges Unwetter über uns runter. Es hat geschüttet, gehagelt, gestürmt und so krass geblitzt und gedonnert, wie wir es im Wohnmobil noch nie erlebt hatten. Da fühlt man sich den Naturgewalten in der kleinen Blechdose und auf weitem Feld doch ganz schön ausgeliefert. Mit immer mulmiger werdendem Gefühl haben wir mal gegoogelt, wie das eigentlich mit dem Faradayschen Käfig bei einem Wohnmobil aussieht. Unklare Informationslage. Vorsichtshalber haben wir uns, mit dem zitternden Pepito auf dem Arm, in die Fahrerkabine verkrochen, die wohl am sichersten gegen Blitzeinschlag sein soll.
Literweise Wasser kamen so schnell auf uns runter, dass wir kaum eine Chance hatten, uns auf festen Betongrund zu flüchten. Da wir aber aus Erfahrung schon wussten, dass das immer heftig aussieht und am nächsten Tag im Sonnenschein aber gleich wieder alles trocken ist, blieben wir erstmal (relativ) cool, denn wir wollten ja auch nicht am nächsten Morgen weiterfahren. Allerdings hatten wir die ganze Sache unterschätzt. Der Regen war so heftig, dass er das ganze Gebiet um uns rum in eine Flusslandschaft verwandelte – und er hörte einfach nicht wieder auf. Tagelang regnete sich das Tief, das sich hartnäckig über uns eingenistet hatte, weiter aus. An Weiterfahren war nicht zu denken.

Im Wasser versunken
Im Wasser versunken.

So wundert es auch nicht, dass wir gestern nicht vom Fleck kamen. Alles war eingepackt, verstaut, alle Luken dicht, wir hatten uns von unserem Lieblingsplatz mit Wehmut verabschiedet und – nichts ging. Die Reifen drehten durch, eine einzige Schlammschlacht. Keine Chance. Also erstmal ein paar Stunden abwarten, das Wind und Sonne ihren Job tun würden und dann nochmal versuchen. Wieder sind wir nicht weit gekommen, bis wir einen Reifen zwischen Steinen eingekeilt und die anderen tief im Schlamm vergraben hatten. Wie kopflose Hühner sind wir immer wieder im Kreis um das Wohnmobil gelaufen, um uns ein Bild von der Lage zu machen und auf eine Eingebung hoffend, wie wir aus dieser wieder rauskämen.
Irgendwann sind wir endlich auf die Idee gekommen, dass ich am Steuer sitzen sollte und Uli anschiebt und mich durch die tückischen Stein- und Matschfelder lenkt. Ich bin also den Wagen gefahren, während Uli weiter drumherum gehopst ist und zusammen haben wir es Stück für Stück geschafft, uns freizukämpfen. Teamwork ist eben alles. 🙂

Trotzdem kamen wir uns vor wie blutige Anfänger. Immer noch bringen wir uns in solch brenzlige Situationen, weil wir einfach nicht einsehen wollen, dass wir kein Offroad-Gefährt fahren, sondern eben doch ein spießiges, weißes Wohnmobil, mit viel zu wenig PS unter der Haube und lächerlich kleinen Reifen. Bisher hat der gute Knausi unsere Eskapaden tapfer mitgemacht und wir haben es ja auch immer geschafft, uns aus dem Schlamassel, in den wir uns selbst reinmanövriert haben, auch wieder zu befreien. Trotzdem hat das nächste Gefährt Allradantrieb …!

So kommt das Salz aus dem Meer

Die Salinen von Nubia.
Die Salinen von Nubia.

Als die wilde Fahrt dann also endlich weitergehen konnte, sind wir erstmal zu den Salinen von Trapani/Nubia gefahren und haben dort etwas über die Gewinnung von Meersalz gelernt: Dabei wird Meerwasser in ein Becken gespült und von diesem in mehrere angrenzende, die alle jeweils ein kleines bisschen niedriger liegen. Von Becken zu Becken verdunstet immer mehr Wasser und die Salzlauge wird konzentrierter, bis am Ende immer größer werdende Salzhügel übrigbleiben.

Übernachtet haben wir auf einem kleinen Parkplatz am Meer, kurz vor Marsala. Kaum hatten wir dort Quartier bezogen, als eine farbenfrohe Hochzeitsgesellschaft auf dem kleinen Platz mit Anlegesteg einfiel, um Fotos zu machen. Ein ziemliches Spektakel wurde uns geboten, denn die Kleider der Damen waren sehr elegant und bunt, aber so gar nicht geeignet, um damit – und vor allem mit den dazugehörenden hochhackigen Schuhen – an einem steinigen Strand Fotos zu machen. Aber sie waren einfallsreich und es wurde fleißig posiert und Selfies gemacht, während ein Fotograf mit dem Brautpaar auf dem Steg zugange war. Vorsichthalber wurde alles auch nochmal mit einer Drohne festgehalten, die über uns kreiste. Schließlich verschwanden alle in den Autos und luden ihre Bilder bei Instagram hoch …

Neue Bekanntschaft und witzige Hochzeitsgesellschaft.

Kaum war die Festgesellschaft verschwunden, kamen schon die nächsten zum Fotos machen. Ein Junge in einem weißen Gewand wurde mal hierhin und mal dorthin gestellt. Vielleicht war das eine Kommunionsfeier?

Während dessen sprach uns ein deutscher Mitcamper aus Leipzig an und wir haben eine ganze Weile nett gequatscht und Reisegeschichten ausgetauscht, während wir die Show vor uns genossen. Plötzlich ertönte ein lautes Getöse und eine Parade Rollerfahrer zog laut hupend und winkend, mit Röhren und Knattern an uns vorbei. Bestimmt 100, zum Teil sehr originelle Vespa-Modelle schepperten fröhlich das Küstensträßchen entlang.

Dann war auch schon Sonnenuntergangsprogramm angesagt und im Stop-and-Go-Verfahren hielten im zwei Minuten-Takt die üblichen Selfiemacher mit ihren Autos vor uns: Anhalten, rausspringen, professionelles Posing und ein routiniertes Fotolächeln, Klick und weg. Nächster bitte.
Wir hatten uns inzwischen auf den Anlegesteg zurückgezogen und genossen weiterhin das wilde Treiben. – So viel Action und menschlichen Kontakt hatten wir ja die ganzen letzten Wochen nicht!

Abends gehörte der hübsche Uferplatz wieder uns allein.
Abends gehörte der hübsche Uferplatz wieder uns allein.

Kaum war aber die Sonne untergegangen, hörte der Trubel plötzlich auf und es war vollkommen still. Das Meer lag ganz ruhig, auf der Straße fuhr niemand mehr und bis auf einen neugierigen Streuner waren wir vollkommen allein. Verrückt. Wir lieben inzwischen sehr die Zeit zwischen halb acht und neun, wo offenbar Mama das Essen fertig hat und alle Italiener schlagartig von den Straßen verschwunden sind. Gerade war noch lautes Gehupe, freudiges Geschrei, schallendes Lachen, hitzige Diskussionen, eingebettet in Autolärm und Rollergeknatter und plötzlich herrscht von jetzt auf gleich absolute Stille.

Surreale Welt in Beton

Gibellina
Die Ruinen der zerstörten Stadt Gibellina wurden von Alberto Burri in weißen Beton gegossen. Man läuft durch die Gassen, die tatsächlich an diesen Stellen verliefen.

Heute haben wir uns einen sehr besonderen Ort angesehen. Wir waren in Gibellina Vecchia, beziehungsweise liefen durch die Überreste der Stadt. Nein, das stimmt auch nicht so ganz, denn die Ruinen sind zu einem Kunstwerk umgestaltet worden. Aber von vorne … Die Stadt wurde bereits im 14. Jhd. gegründet, bei einem sehr schweren Erdbeben 1968 jedoch vollständig zerstört. Sie wurde auch nie wieder aufgebaut. Ein großer Teil der zerstörten Stadt hat der Künstler Alberto Burri in weißen Beton gegossen. Dabei blieben die Gassen des Orts an ihrem Platz, so dass man durch die Betonberge laufen und sich dabei ein Bild von der Enge der ehemaligen Stadt machen kann. Ein faszinierender Ort und auch mal was ganz anderes als die üblichen Touri-Attraktionen. Das finden wir ja super!

Gibellina Nuova
Der irgendwie sehr traurige Ort Gibellina Nuova.

Wie gesagt, hat man den zerstörten Ort nicht wieder aufbauen wollen und stattdessen neun Kilometer weiter eine neue Stadt gegründet – Gibellina Nuova. Für die Plätze der neuen Stadt stifteten zahlreiche Künstler, Bildhauer und Architekten Kunstwerke. Beispielsweise war auch Joseph Beuys darunter. Dadurch ist das neue Gibellina heute eine von der Struktur her für Sizilien sehr untypische Stadt, weil sie nicht gewachsen, sondern am Reißbrett entworfen wurde und gleichzeitig die Stadt mit der höchsten Dichte an moderner Kunst in ganz Italien. Eine Stadt voller Kunst – das klang doch toll, da mussten wir hin!!


Und ja, stimmt, da trifft man alle Nase lang auf eine Skulptur oder andere Kunstwerke. – Bemooste, dreckige, vergammelte Kunstwerke …  Man kann sich, mit etwas Fantasie noch vorstellen, wie die Stadt wohl bei ihrer Gründung ausgesehen haben mag: Hell, bunt, weite Straßen, Parkanlagen, ein Fluss, Kinderspielplatz und ein schnuckeliger eigener Bahnhof. Doch trotz all der hübschen Kunstwerke überall, haben die Einwohner das Konzept nicht recht angenommen. Heute ist Gibellina eine halbe Geisterstadt. Nur noch etwa jedes dritte Haus ist bewohnt; die Stadt ist leer, wirkt verlassen und verwahrlost. Ein wirklich deprimierender Anblick. Passenderweise fing es dann auch noch an zu regnen, was die Stadt endgültig in grauer Tristesse versinken ließ. Nichts wie weg!

Eine halbe Stunde später stehen wir jetzt wieder bei strahlendem Sonnenschein am Meer, an einem ruhigen und beschaulichen Plätzchen nahe Selinunte. Hier gibt’s griechische Tempel und Pipapo. Ein riesiger Rummel ist drumherum aufgezogen und in den werden wir uns wohl oder übel morgen stürzen. Hoffentlich lohnt es sich. Wir sind gespannt!


Über die Autorin

Ramona Pingel

Ramona ist Co-Verlegerin des WNJ-Verlags und arbeitet außerdem als Freie Lektorin. Vor ihrer gemeinsamen Reise mit Uli lebte sie im beliebtesten Viertel Kölns, hatte einen guten Job in einem großen Verlagshaus und genoss das Leben in der Großstadt. Doch nach der Reise kam das alles nicht mehr infrage. Sie wollte unabhängig sein und näher an der Natur. Heute leben Uli und sie, zusammen mit Hund Spencer, in einem Häuschen in der Vulkaneifel, direkt am Waldrand. Ihre freie Zeit verbringt sie am liebsten mit Gärtnern, Yoga und Wandern.

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