Junge, Junge, das war vielleicht eine Woche! Wir sind ganz schön rumgekommen und haben viele tolle Sachen gesehen. Und wenn Du uns bei Facebook folgst, weißt Du ja schon, dass wir uns auch so richtig reingeritten haben, in die größte Misere bislang auf dieser Reise …
Letzten Sonntag hatte ich ja meinen Brief damit beendet,
dass wir in Selinunte am Strand angekommen
waren. Gleich am nächsten Morgen standen wir um Punkt neun Uhr, im
Archäologen-Safari-Expeditions-Outfit vor den Toren der archäologischen Stätte,
als diese aufgingen. Das war schlau, denn es wurde recht schnell ziemlich heiß
und außerdem kamen an dem Tag viele Schulklassen. Hunderte kreischende Teenies
mäanderten durch die antiken Ruinen, es klang mehr nach Spaßbad als nach
Ausgrabungsstätte. Gott sei Dank bewegten sie sich aber so langsam wie Zombies
fort, so dass man ihnen leicht aus dem Weg gehen konnte.
Selinunte ist ein sehr weitläufiges Gelände, mit zahlreichen griechischen
Tempeln (nicht, dass wir in den fünf Monaten in Griechenland nicht genug davon
gesehen hätten) und der alten griechischen Stadt Selinus, die in der Antike eine der wichtigsten Städte auf Sizilien
war.
Platter Reifen – das kann uns nicht mehr schocken
Als wir von unserer Expedition zurückkamen, stand unser Wohnmobil leicht schief. – Wir hatten einen Platten. Eine Schraube hatte sich tief ins Gummi gebohrt. Also erstmal langsam zur nächsten Tankstelle, Luft reinpumpen und den netten Carabinieri, der da gerade seinen Mittagskaffee trank fragen (das heißt natürlich mit Händen und Füßen, denn hier kann ja kein Mensch Englisch; aber unsere pantomimischen Fertigkeiten werden immer ausgefeilter), wo man denn das reparieren lassen könne. Dann in die nächste Stadt geschlichen, zu einem Reifenhändler. Wir waren uns sicher, dass man uns dort sehr geschäftstüchtig auf jeden Fall gleich zwei neue Reifen würde aufschwatzen wollen, was uns mal eben wieder 200 Euro gekostet hätte. Doch stattdessen hat ein sehr netter Mechaniker den Reifen mal kurz geflickt – und das noch zackig vor der heiligen Mittagspause! Statt 200 mussten wir nur 20 Euro bezahlen und schaukelten gut gelaunt weiter, stolz, dass wir solche Dinge inzwischen mit links regeln.
Wir sind dann noch ein Stück gefahren und haben uns einen Strandplatz gesucht. Unglaublich, aber wir finden noch immer schöne Ecken, an denen wir vollkommen alleine sind. So auch in diesem Fall. Den Rest des Tages haben wir also am Strand rumgelümmelt, Uli war schwimmen, und abends gab es unser Lieblingsprogramm: Sonnenuntergang über dem Meer, Lagerfeuer und Sternenhimmel.
Der Garten der tausend Köpfe
Inselbewohner sind ja zuweilen ein eigentümliches Völkchen und so gab es auch auf Sizilien jede Menge herrlich verrückte Spinner, die uns ihre Spuren zum Bestaunen zurückgelassen haben. So auch Filippo Bentivegna, der in Sciaccia seinen „Garten der tausend Köpfe“ erschaffen hat. Über eine verschmähte Liebe nie hinweggekommen, ist er zu einem kauzigen Einsiedler mit leichtem Hang zum Größenwahn geworden. Um sein Haus herum hat er Skulpturen (Köpfe) aus Stein gehauen, die sein untergebenes Volk darstellen sollten, dessen König er war. Wir haben sie nicht gezählt, aber es waren auf jeden Fall einige hundert.
Torre Salsa nur mit Allrad!
Das Steinvolk hinter uns lassend wollten wir dann zu einem
kleinen Nationalpark, über den wir gelesen hatten, dass es da unter anderem
einen der schönsten Strände der ganzen Südküste geben soll und dass dieser noch
nicht sehr bekannt ist. Der Park, Torre
Salsa, wurde vor ein paar Jahren vom WWF ausgezeichnet und gilt noch als
Geheimtipp. Nichts wie hin da.
Bald schon endete die asphaltierte Straße und wir hoppelten mal wieder einen
schlaglochdurchfurchten Feldweg entlang. Der wurde immer schmaler, das Schilf
zu beiden Seiten kam immer näher und irgendwann mussten wir vor einem riesigen
Schlammloch doch kapitulieren und uns irgendwie da wieder rauswurschteln. Aber:
so leicht geben wir nicht auf, es sollte ja noch einen anderen Weg hineingeben.
Den gab es auch. Man musste nur über eine Kuppe und dann
einen Abhang hinunter. Hm, schon ganz schön steil. Aber wir würden einfach
einen anderen Weg hinausfahren, nachdem wir den Tag am wunderschönen Strand
verbracht hatten. Alle Warnschilder ignorierend (die waren ja eh auf
Italienisch) sind wir dem immer abenteuerlicher werdenden Pfad gefolgt. Links
der Abgrund vor uns eine einzige Ansammlung von Schlaglöchern, auf einem immer
schmaler werdenden Weg.
Plötzlich ein riesiger Graben vor uns. Drüber ging nicht, links vorbei auch
nicht. Wieder einmal wurde uns klar, warum das beliebteste Auto der
Einheimischen das alte Fiat Panda-Modell mit Allradantrieb ist. Damit kam man
leicht links ab Graben vorbei (übrigens Erdbebenschäden – wenn man Warnschilder
mal in den Übersetzer eingibt, kann das unter Umständen hilfreich sein). Für
uns gab es hier aber kein Vorwärtskommen und so musste Uli, von mir dirigiert,
rückwärtsfahren bis er in einem abzweigenden Feldweg drehen konnte. Der
Abenteuertrack sah andersrum noch viel gruseliger aus und ich war erleichtert,
als wir endlich wieder am Eingang des Parks angekommen waren. Nur noch eben den
Abhang rauf und dann wären wir draußen.
Doch daraus wurde leider nichts, denn WIR HABEN VERDAMMT NOCHMAL KEINEN
ALLRADANTRIEB!!!!!
Immer wieder haben wir es versucht, mit Anlauf und ohne,
schnell, langsam, sogar rückwärts. Doch die Reifen drehten immer wieder durch,
Steine flogen wild zu allen Seiten, es roch beißend nach Gummi und aus der
Motorhaube fing es an zu qualmen. Keine Chance, da kamen wir aus eigener Kraft
nicht mehr hoch. Wir saßen in der Falle.
Was nun? Erstmal cool bleiben, an den Rand fahren und einen Kaffee trinken.
Jedem der (mit seinem Allrad-Panda) an uns vorbeikam haben wir dann ein kleines
Theaterstück aufgeführt, in dem wir pantomimisch unser Dilemma schauspielerten.
Der Höhepunkt des Stücks bildete die Nachahmung eines Traktors, der uns aus
unserer misslichen Lage erretten würde. Die Italiener hatten immerhin Spaß an
uns, aber leider keinen Traktor; sie wollten aber die Augen offenhalten und
sollten sie einen sehen, zu uns schicken. Grazie, Grazie.
Der nette Schäfer fühlte sich sehr für uns Schwachköpfe verantwortlich
Irgendwann hielt der Schäfer des Tals neben uns. Die Schäfer erkennt man hier an einem weißen Kastenwagen, dem vier große, freundliche Hunde folgen. Wenn dann noch ein älterer Herr mit einer Haut, die auf viele Jahrzehnte direkter Sonneneinstrahlung hinweist aussteigt, gibt es keine Zweifel mehr. Der Schäfer war redlich bemüht und fühlte sich auch ziemlich schnell für uns verantwortlich, waren wir doch offensichtlich ziemlich naive Deppen. Mit großen Fragezeichen über unseren Köpfen sahen wir ihm beim lauten Denken zu. Er redete und redete, wog dies ab und jenes; da gäbe es diesen Freund, aber der … war nicht da oder war ein Arschloch – es wurde uns nicht so klar. Jedenfalls musste er jetzt heim zum Essen, es täte ihm sehr leid. Na Klar, das verstanden wir.
Wir richteten uns gerade darauf ein, die Nacht hier zu
verbringen und wollten erstmal etwas kochen, denn gegessen hatten wir den
ganzen Tag noch nichts. Am nächsten Morgen wollten wir dann hoch zur Straße
laufen und da jemand anhalten, der uns helfen könnte.
Doch plötzlich sahen wir ein uns bekanntes Auto wieder über die Kuppe kommen –
der nette Schäfer war zurückgekehrt. Mit einem Plan, den er uns gleich
aufgeregt erzählte, den wir aber natürlich nicht verstanden. Er fuhr nochmal
weg, kam ein paar Minuten später wieder und was immer er vorgehabt hatte, hatte
nicht geklappt. Es war schon zu spät am Abend, der Arschloch-Freund wollte
nicht mehr ausrücken. Morgen würden wir bestimmt Hilfe bekommen. Alles klar,
kein Problem, wir hatten ja alles was wir brauchten; inklusive einem
wundervollen Ausblick über das malerische Tal.
Der Schäfer hat uns nicht im Stich gelassen
Aber kaum war der Schäfer verschwunden, tauchte ein weiterer
Fiat Panda mit einer Familie drin auf. Die wussten schon Bescheid, der Schäfer
musste sie geschickt haben. Via Handy-Übersetzer machten sie uns klar, dass sie
in einer Stunde zurückkommen und uns helfen würden. Wir sollten da stehen
bleiben! Sehr witzig …
Eine knappe Stunde später hörten wir in unserer Landidylle plötzlich ein lautes
Knattern und von den letzten Sonnenstrahlen des Tages angeleuchtet, kam unsere
glorreiche Rettung über die Anhöhe geschossen: ein blauer Traktor. Tadaaa!!
Routiniert, als würde er täglich dumme Touristen mit ihren Wohnmobilen hier
unten rausholen, befestige der Familienpapa von vorhin eine Kette an unserem
Bus und zog uns, natürlich gleichzeitig noch telefonierend, mal eben einhändig
da raus. Sechs Stunden hatten wir in der Falle gesessen (waren zwischendurch
nochmal zur kaputten Straße zurückgefahren, um auszumessen, ob wir da nicht
doch vielleicht irgendwie durchkämen), wir waren wirklich sehr dankbar. Aber
pleite. Unser letztes Bargeld hatten wir für den Eintritt zum Steinvolk
ausgegeben und noch keinen Bankautomaten gefunden.
Den angebotenen Wein lehnte unser Erretter ab, er trinke nicht. Er zeigte auf den
Traktor, Geld für Benzin wollte er haben. Ja klar, bloß wir hatten halt keins.
Wieviel er denn wolle. Fünf, zeigte er. Ach, na fünf Euro für Benzin würden
sich doch noch auftreiben lassen. Wieder hüpften Uli und ich ins Wohnmobil und
suchten in jeder Ritze nach Kleingeld. Unseren gesamten Schatz brachten wir vor
ihn hin, doch er winkte nur ab. Wir sollten ihm folgen, er würde uns zum
Bankautomaten bringen.
Wieder fuhr er telefonierend vor uns her und an seinem Haus angekommen, wartete schon seine Frau auf uns, die im Kleinwagen das letzte Stück vor uns ins Dorf fuhr. Langsam dämmerte uns, dass soviel Aufwand wohl kaum wegen fünf Euro betrieben wurde. Am Automaten angekommen, wollte die noch geschäftstüchtigere Ehefrau 100 Euro von uns. Sie sah aber auch gleich ein, dass das jetzt mal echt übertrieben war und wir zahlten 50. Jetzt machten auch die ganzen Gesten des Schäfers für uns Sinn: er hatte nach anderen Lösungen gesucht, weil er wusste, dass der Kerl uns abzocken würde.
Wie auch immer, wir waren wieder frei und mit lautem Quietschen und Scheppern – nach der Aktion sind unsere Stoßdämpfer endgültig im Eimer – haben wir uns auf irgendeinen Parkplatz verkrochen und sind ziemlich früh eingeschlafen …
Wir ruhen uns von unserer aufregenden Zeit erstmal ein paar Tage am Strand aus!
Über die Autorin
Ramona Pingel
Ramona ist Co-Verlegerin des WNJ-Verlags und arbeitet außerdem als Freie Lektorin. Vor ihrer gemeinsamen Reise mit Uli lebte sie im beliebtesten Viertel Kölns, hatte einen guten Job in einem großen Verlagshaus und genoss das Leben in der Großstadt. Doch nach der Reise kam das alles nicht mehr infrage. Sie wollte unabhängig sein und näher an der Natur. Heute leben Uli und sie, zusammen mit Hund Spencer, in einem Häuschen in der Vulkaneifel, direkt am Waldrand. Ihre freie Zeit verbringt sie am liebsten mit Gärtnern, Yoga und Wandern.