Wenn es um Karriere geht, gibt die westliche Gesellschaft oft einen ziemlich deutlichen Takt vor: Zunächst muss in der Schule fleißig gelernt und direkt im Anschluss das Studium straff durchgezogen werden, um daraufhin nahtlos in den verdienten Vollzeitjob wechseln zu können. Dort wird also die nächsten Jahre pflicht- und verantwortungsbewusst sehr viel Zeit und noch mehr Energie hineingesteckt, während man das Wort „Verschnaufpause“ irgendwo zwischen unaufschiebbaren Terminen in die winzige Kalenderspalte namens „Jahresurlaub“ quetscht.
Im Urlaub wird dann von A nach B gehetzt, denn schließlich gibt es einiges zu sehen und noch viel mehr nachzuholen, was im Alltag keinen Platz mehr hatte – und die Chefs erwarten frische, dynamische Arbeitnehmer:innen, die sich voller Elan wieder in den Arbeitsalltag stürzen. Entstanden ist das Phänomen Urlaub vom Urlaub zu brauchen – perfekt ist das nur allzu vertraute Hamsterrad.
Die immer beliebter werdende Lösung lautet daher: Sabbatical. Wir verraten euch, was ein Sabbatical eigentlich ist und warum ihr es unbedingt mal ausprobieren solltet.
Sabbati…was? Was genau ist eigentlich ein Sabbatical?
Der Begriff Sabbatical stammt ursprünglich aus den USA und wird vom hebräischen Wort „schabat“ abgeleitet, was so viel wie ruhen bedeutet. Geprägt wurde der Begriff von Professoren an US-amerikanischen Universitäten, die sich im Rahmen eines Forschungs- oder Freisemesters für eine Zeit freistellen ließen. Das Sabbatical (oder auch Sabbatjahr) von heute ist in der Regel als (unbezahlter) Sonderurlaub ausgestaltet, auf den sich Vorgesetzte und Arbeitnehmer:innen vertraglich einigen. Die Gestaltung des Sabbaticals liegt dabei bedingungslos in den Händen derjenigen, die sich diese Auszeit gönnen. Die Dauer liegt in der Regel zwischen drei Monaten und einem Jahr.
Besonders gute Chancen auf ein Sabbatical gibt es übrigens im Beamt:innentum, was das Resultat der ehemaligen sogenannten „Lehrerschwemme“ ist. Aber auch immer mehr Unternehmen in der freien Wirtschaft springen auf den Sabbatical-Zug auf, da sie genau um die positive Wirkung auf die Leistungsfähigkeit ihrer Angestellten wissen und weil Sabbaticals inzwischen zum guten Ton des modernen Zeitgeists in Sachen Work-Life-Balance gehören.
Die Beweggründe für Sabbaticals
Die Gründe, warum Menschen sich für ein Sabbatical entscheiden, sind immer wieder etwas anders und absolut individuell. Einige wesentliche Übereinstimmungen gibt es bei vielen Aussteigern auf Zeit dennoch.
Tschüss Hamsterrad, hallo persönliche Entwicklung!
Wenn das tägliche Hamsterrad einfach nicht stillstehen will und man vor lauter Stress nicht einmal mehr am Wochenende oder im Urlaub seine eigenen Gedanken hören kann, kann ein Sabbatical genau das Richtige sein, um endlich wieder durchzuatmen und die im Alltag verlorene Lebensenergie wiederzufinden. Viele werden feststellen, dass, sobald sie wieder Zeit haben, ihren Fokus nach innen zu richten, sie sich plötzlich wichtige Fragen stellen, wie: Wer bin ich und wer will ich sein? Was brauche ich? Was macht mich glücklich? Wovon habe ich schon immer geträumt und wie soll meine Zukunft aussehen?
Ein Sabbatical kann die nötige Auszeit verschaffen, um den eigenen Herzenswünschen auf den Grund zu gehen und sein persönliches Glück neu zu definieren. Diejenigen, die in dieser Hinsicht bereits eine klare Linie gefunden haben, kehren nach einem Sabbatical meistens mit einer Extraportion Kreativität zurück und lassen sie in ihren Arbeitsalltag einfließen. Neue Länder zu bereisen und die Lebenswirklichkeiten, Traditionen und Gewohnheiten anderer Kulturen kennenzulernen ist unglaublich inspirierend und horizonterweiternd.
Endlich durchstarten: Berufliche Neuorientierung
Viele nutzen ein Sabbatical, um beruflich neu durchzustarten. Sei es, um sich selbstständig zu machen, die Zeit zwischen dem alten und dem neuen Job sinnvoll zu überbrücken oder um für sich Klarheit zu schaffen, ob der aktuelle Job noch zum eigenen Lebenskonzept passt, oder ob es Zeit ist, weiterzuziehen.
Das zeitlich begrenzte Ausbrechen aus alten Strukturen kann den Blick für berufliche Perspektiven schärfen und den Anstoß für entscheidende, vielleicht schon längst überfällige Veränderungen geben.
Besinnung auf das Wesentliche: Familie und Gesundheit
Spätestens nach einem unerwarteten Schicksalsschlag oder infolge eines rebellierenden Körpers wird den meisten bewusst, dass es Dinge gibt, die man nicht kaufen kann: Zeit mit seinen Liebsten und Gesundheit. Im Alltagstrubel verlieren wir allzu oft den Blick für das Wesentliche und setzen falsche Prioritäten. Wenn eure Prioritäten bei euren Kindern, Partner:innen und Eltern liegen, ist ein Sabbatical die ideale Zeit, um die Bindung zu intensivieren und sich einander aufrichtig zuzuwenden. Etwa durch gemeinsame Reisen, gemütliche und aufmerksame Gespräche am Esstisch oder liebevolle, gemeinsam kreierte Routinen.
Auch dann, wenn wir uns selbst viel zu wenig wichtig nehmen und uns zwingen, immer weiter zu funktionieren, ist unser Körper ein zuverlässiger Partner, um die Notbremse zu ziehen. Ein Sabbatical ist dann genau richtig, um sich mal wieder mit allen körperlichen und seelischen Problemen auseinanderzusetzen, die im Alltag ignoriert wurden. Nehmt euch bewusst Zeit für eure Gesundheit und wartet nicht darauf, bis ihr völlig ausgebrannt seid.
Sabbatical für alle?
Zu sagen, dass sich jede:r völlig unkompliziert ein Sabbatical nehmen kann, wäre wohl zu hoch gestapelt und an der wirtschaftlichen Realität vieler Menschen vorbei, die gerade so über die Runden kommen. Denn neben der Frage, wie sich ein Sabbatical finanzieren lässt, ist die Herausforderung zu bewältigen, dass – zumindest wenn man in den alten Job zurückkehren möchte – auch die Vorgesetzten zustimmen müssen. Doch genau das ist leider noch längst nicht in allen Branchen üblich. In manchen Fällen kann durch Umstrukturierungen im Unternehmen nach dem Sabbatical die Kündigung folgen, da hier, anders als in der Elternzeit, kein Kündigungsschutz garantiert wird.
Die Herausforderungen eines Sabbaticals werden besonders daran deutlich, dass das Arbeitsrecht noch immer keinen generellen gesetzlichen Anspruch auf ein Sabbatical regelt–- außer für Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes. Hier besteht also noch viel Nachbesserungsbedarf von Seiten des Gesetzgebers. Deshalb ist es für alle in der freien Wirtschaft, deren Tarifverträge kein Sabbatical garantieren, wichtig, die Vorgesetzten mit guten Argumenten zu überzeugen, warum das eigene Sabbatical auch für das Unternehmen nützlich sein kann.
Mit Überzeugungskunst zum Sabbatical
Um zu signalisieren, dass euch das Wohlergehen des Unternehmens auch während eures Sabbaticals weiterhin wichtig ist, solltet ihr Vorschläge machen, wer euch während der Auszeit vertritt und wie sich eure Aufgaben anderweitig aufteilen lassen.
Neben privaten Gründen, wie der Pflege eines Familienmitglieds, kann eine geplante Weiterbildung ein gutes Argument sein, das den Arbeitgeber überzeugt. Denn durch eure neu gewonnenen Qualifikationen profitiert das Unternehmen unmittelbar. Neben schriftlichen Zertifikaten kann das Entwickeln neuer Fähigkeiten und Erfahrungen ebenfalls ein großer Pluspunkt für alle Arbeitgeber:innen sein. Schließlich kann das Gelernte praktisch und kreativ nach eurer Rückkehr in eure Arbeit einfließen und diese dadurch qualitativ steigern.
Viele Vorgesetzte denken in Zahlen und genau hier könnt ihr taktisch klug anknüpfen: durch ein Sabbatical spart ihr dem Unternehmen, vor allem in Krisenzeiten, Geld. Entweder durch ein Arbeitszeitmodell, bei dem im Vorfeld ein Teil eures Gehalts einbehalten und für das Sabbatical gespart wird oder durch eine gänzlich unbezahlte Freistellung. Das Argument ist also, dass ihr das Unternehmen für eine Zeit finanziell entlastet.
Fazit
Wenn ein Sabbatical euer großer Traum ist, solltet ihr unbedingt dafür losgehen und individuelle Möglichkeiten suchen, wie ihr ihn wahrwerden lassen könnt – selbst dann, wenn ihr nicht zu der privilegierten Gruppe gehört, deren Arbeitsvertrag einen Ausstieg auf Zeit vorsieht. Doch bevor ihr euch in dieses Abenteuer stürzt, ist es ratsam, genau hinzuschauen, warum euch ein Sabbatical vorschwebt. Welches Problem soll das Sabbatical lösen und kann es das überhaupt?
Eines ist klar: Wer für eine Zeit lang aus dem Hamsterrad ausbrechen möchte, um anschließend genau dorthin zurückzukehren, wird nicht nachhaltig von dieser Erfahrung zehren können. Findet den Mut, das Hamsterrad selbst zu hinterfragen und ein Leben zu beginnen, das euch Energie verleiht und mit grenzenloser Freude erfüllt. Manchmal kann ein Sabbatical der Weckruf sein, um genau das zu tun. Und für alle, die bereits ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben, ist ein Sabbatical eine unendlich wertvolle Zeit für neue Impulse und tiefe Inspiration.
Über die Autorin
Alena Löffelholz
Alena ist Studentin der Germanistik und Italianistik, freiberufliche Texterin, schon immer von Kopf bis Fuß wortverliebt und geht selten ohne ein inspirierendes Buch aus dem Haus. Absolute Glücklichmacher: Gute Gespräche bei einer gemütlichen Tasse Tee und Kerzenschein, Klippenwanderungen in Irland und herbstliche Waldspaziergänge.