Was Reisen mit Yoga zu tun hat
Viele Reisende können das sicher bestätigen, dieses Gefühl „es wird sich schon alles fügen“, „irgendwie geht’s immer weiter“, „es wird schon alles gutgehen“. Auf Reisen entwickelt man ein unerschütterliches Vertrauen in … – ja in was denn eigentlich? Den Glauben an ein Universum, in dem wir alle durch Energien miteinander verbunden sind, empfand ich lange Jahre als befremdlich. Ein hübsches Märchen in der wöchentlichen Yogastunde, das ich mir gerne erzählen ließ, was ich aber für mich zu abgehoben und zu esoterisch fand. Inzwischen sehe ich das anders. Denn von dem Moment an, als Uli und ich den Entschluss zu dieser Reise gefasst hatten, lief plötzlich alles wie von selbst. Natürlich gab es noch eine Menge zu erledigen und zu organisieren und ein Gefährt hatten wir auch nicht. Aber die Dinge fielen einfach auf ihren Platz und alles fügte sich irgendwie.
Von diesem Phänomen hatte ich schon öfter gehört, meist von Reisenden oder Leuten mit Visionen und Plänen, die sie mit voller Hingabe umsetzen wollten. Mir selbst ist das vorher noch nie passiert und ich konnte es mir nicht erklären und kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Es war, als hätten wir durch unseren Herzenswunsch so viel positive Energie freigesetzt, dass das ganze Universum dafür gesorgt hat, sämtliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit unser Traum Wirklichkeit werden konnte. Verrückt war auch, dass wir nicht nur uns selbst mit der Planung und der Vorfreude auf diese Reise unglaublich glücklich gemacht haben, sondern auch andere Menschen. Viele fanden die Idee so großartig und unterstützenswert und wären am liebsten selbst losgezogen. Es war, als würden wir für all diese Menschen auf diese Reise gehen und ihre Sehnsüchte und ihr Streben nach Glück und Freiheit als gute Wünsche mitnehmen.
Das klingt ganz schön abgehoben, ich weiß. Übrigens sind Uli und ich beide extrem bodenständige, auf Sicherheit bedachte, pragmatische Menschen. Aber diesem Zauber, der in unserem Aufbruch in ein neues Leben lag, konnten selbst wir uns nicht entziehen.
Yoga als Lebensgefühl
Yoga war das erste „Hobby“, das ich in meinem Leben ausprobiert habe, bei dem ich wirklich geblieben bin. Irgendwas daran hat mich schon vor etwa sechzehn Jahren gepackt und berührt. Ich hatte das Gefühl, dass darin sehr viel mehr für mich liegt, als ein gesunder Rücken oder ein knackiger Po; hier gab es etwas Allumfassendes, dem ich unbedingt auf den Grund gehen wollte. Yoga hatte auf eigentlich alle Fragen des Lebens eine Antwort, er war sehr schnell für mich ein Lebensgefühl, eine Einstellungssache, damit verbunden war eine ganz neue Art zu leben, mit der ich mich verbunden fühlte, auch schon am Anfang, als ich noch sehr wenig darüber wusste und noch viel weniger davon verstand.
Als vor ein paar Jahren der Trend des digitalen Nomadentums losging, war ich ganz fasziniert und habe regelmäßig die Blogs der ersten Pioniere und ihre Erfahrungen verschlungen. Das war eine spannende Idee und eine so freie Art zu leben. Für mich kam ein solcher Lebensstil damals aber auf gar keinen Fall infrage, dazu war ich viel zu sehr auf Sicherheit bedacht und hatte zu wenig Selbstbewusstsein, um es mir zuzutrauen, selbstständig für meinen Lebensunterhalt zu sorgen und in der Welt klarzukommen. Durch Yoga habe ich gelernt, auf mich selbst zu achten, mich selbst wieder zu spüren. Er hat mir Selbstvertrauen gegeben und den Glauben daran, dass ich meinen Weg schon gehen werde und dass dieser Weg auch voll okay ist und eben meiner. Jetzt reise ich durch die Welt und verdiene mein Geld online und somit ortsunabhängig, als Lektorin und Texterin.
Minimalismus lernt man auf Reisen ganz bestimmt
Minimalismus war ebenfalls ein Thema, auf das ich damals augenblicklich angesprungen bin und gefühlt habe, dass da mehr dahintersteckt als nur seinen Kleiderschrank auszumisten. Auch war mir direkt klar, dass Minimalismus mit Yoga in Zusammenhang stehen muss, dass es hier eine Verbindung gibt. Ständiges Konsumieren, immer mehr Dinge anschaffen, um die man sich kümmern muss und die einen nicht glücklich machen – das konnte nicht richtig sein. Und vor allem konnte das doch nicht alles sein im Leben: Zu arbeiten, um sich schöne Sachen kaufen und in immer größeren Wohnungen leben und teurere Autos fahren zu können.
Von Reisenden hört man ja immer Sätze wie „weniger ist mehr“ oder „du brauchst nicht viel zum Glücklichsein“. Und was soll ich sagen: es stimmt halt. Ich wollte das ja auch immer nicht so glauben, das mussten die ja sagen, um sich das entbehrungsreiche Leben schönzureden. Ja klar, wenn man in Bali am Strand liegt braucht man auch nicht viel zum Glücklichsein, aber das sind ja vergängliche Urlaubsmomente. Ich musste es erst wirklich erleben und leben, um es tatsächlich zu begreifen. Auf neun Quadratmetern ist Minimalismus schwer angesagt. Der Yoga sagt, du sollst dich nicht mit Besitz belasten, denn der lenkt dich nur ab und beschwert dich, doch es geht ja darum, den Geist frei zu haben, für wirklich wichtige, existenzielle Dinge. Im Vergleich zu den meisten Leuten die wir kennen, hatten Uli und ich schon vorher sehr spartanisch eingerichtete Wohnungen und haben regelmäßig ausgemistet. Doch beim Auflösen der Wohnungen wurde uns dann doch vor Augen geführt, wie unglaublich viel unnötigen Krempel wir trotzdem noch besaßen. Auch jetzt noch, in unserem kleinen Wohnmobil, haben wir alle Schränke vollgestopft und sehr viel mehr dabei, als wir wirklich brauchen und benutzen. Etwa 70 Prozent der Klamotten, die ich eingepackt habe, habe ich beispielsweise in den bisherigen acht Monaten auf Reise noch nicht gebraucht.
Wir sind durch dieses reduzierte Leben ständig aufgefordert, über all das nachzudenken. Brauche ich dieses oder jenes Teil wirklich? Habe ich es schon mal benutzt? Für welchen Fall schleppen wir das nochmal mit uns rum? Sollten wir das wirklich kaufen? – Warum fällt es uns so schwer, Besitz loszulassen? Was für eine seltsame Art von Sicherheit gibt uns unser Krempel? Es passiert uns doch nichts, wenn wir weniger T-Shirts und Bücher haben, deshalb sind wir ja nicht weniger existent. Was macht uns eigentlich aus? Und wo wir schon mal dabei sind: Wie stellen wir uns denn eigentlich ein glückliches Leben vor? In welchen Momenten sind wir wirklich zufrieden?
Alles nochmal auf Anfang
Dadurch, dass wir alles hinter uns gelassen haben, uns von Prägungen aus der Vergangenheit und Vorgaben der Gesellschaft verabschiedet haben (und täglich mehr loslassen), stehen nun sehr viele Dinge erneut zur Diskussion. Mit Ende dreißig ist also plötzlich nochmal alles neu denkbar, alles möglich. Wir fangen nochmal ganz von vorne an. Auch das ist Yoga: zu lernen, loszulassen. Vergangenes, das man nicht mehr ändern kann; negative Glaubenssätze, die uns kleinhalten; ungesunde Lebens- und Verhaltensweisen; Menschen, die uns nicht gut tun oder den Weg nicht mitgehen wollen. Oft ist das Loslassen schmerzlich und man hält sehr lange an Dingen fest. Doch wenn man es dann geschafft hat, ist da plötzlich so viel mehr Raum für Neues und Positives. Man fühlt sich befreit und macht seinen Frieden. Jetzt kann es endlich weitergehen.
Yoga: Mehr als der Weg zur Bikinifigur
Der rote Faden in all dem, der Rahmen, der das alles und noch viel mehr umschließt, ist der Yoga. Nach wie vor denken hier die meisten Menschen als erstes an die Körperübungen, die Asanas. Die sind jedoch nur ein kleiner Teil des Ganzen und im Grunde nur eine Vorarbeit. Der Körper soll gesund und flexibel sein, aber nicht um in der Bikinisaison einen knackigen Po und einen flachen Bauch herzeigen zu können, sondern damit auch unser Geist flexibel und gesund bleiben/werden kann. Die Übungen sind nur ein Mittel zum Zweck, denn nur in einem gesunden Körper kann auch ein gesunder Geist wohnen und nur der kann höhere Erkenntnisse und Erleuchtung erfahren. Das wiederum geht vor allem durch Meditation und um lange in der Meditationshaltung still sitzen zu können, braucht es ebenfalls einen gesunden, flexiblen Körper, der das mitmacht.
Um gesund zu sein, gehört also Bewegung dazu, die Atmung natürlich (auch ganz wichtig im Yoga) aber eben auch eine gesunde Ernährung. „Du bist was du isst“ wird im Yoga sehr ernst genommen, denn Fleisch und tierische Produkte sind durch Leid anderer Lebewesen entstanden und tragen diese negative Energie in sich. Seit frühester Kindheit ernähre ich mich vegetarisch und seit etwa sechs Jahren auch vegan, weil ich mich viel mit dem Thema Ernährung und Nachhaltigkeit beschäftigt habe und zu dem Schluss gekommen bin, dass das für mich die einzig richtige Art der Ernährung ist, um weder mir noch sonst einem Wesen zu schaden. Ich dachte, das wird auf Reisen sicher schwierig, doch habe ich bisher in jedem Land auch vegane Produkte im Supermarkt gefunden und eigentlich haben auch alle Länder zufällig vegane Gerichte in der traditionellen Landesküche.
Leben im Einklang mit der Natur
Wir leben draußen und sind damit extrem abhängig von der Natur und dem Wetter. Dadurch bekommen wir aber auch überhaupt wieder ein Gefühl dafür: Sieht es nach Regen aus? Von wo kommt der Wind? Wo können wir den Sonnenuntergang am besten sehen? Kann man diese Beeren wohl essen? Wann hast du zuletzt einen solchen Sternenhimmel gesehen? – Wenn die Sonne aufgeht werden wir wach, wenn sie untergeht wird es draußen kalt und dunkel und wir machen es uns drin gemütlich. Ohne es wirklich gemerkt zu haben, leben wir im Gleichklang mit der Natur, sehr viel mehr, als das in der Stadt der Fall war. Ohne einen Plan davon zu haben, entdecken wir immer mehr, was uns die Natur frei Haus liefert. Gerade stehen wir mit dem Wohnmobil an einem Strand auf dem Peleponnes und es riecht draußen herrlich nach Pizza, denn um uns rum sind die Dünen übersät mit Oregano. Auf unseren Spaziergängen pflücken wir reife Orangen und Zitronen von den Bäumen, die hier im Überfluss wachsen, schneiden Salbei, Rosmarin und Thymian ab für Tee und zum Würzen und pflücken wilden Fenchel fürs Abendessen. Was wohl alles erst möglich wäre, hätten wir eine Ahnung von essbaren Kräutern, Beeren und Pilzen?
Die Natur gibt uns so viel und umso schlimmer ist es zu sehen, wie wir mit der Natur umgehen. Die Strände sind völlig übersät mit den Abfällen der Badegäste, jedes Gebüsch eine Müllhalde und das Strandgut besteht zu 80 Prozent aus Plastik. Der sorglose und rücksichtslose Umgang mit der Natur wird uns hier extrem vor Augen geführt. Nicht zuletzt hierdurch wächst unser Verantwortungsbewusstsein und wir überdenken täglich unser Verhalten und unsere Hinterlassenschaften.
Der Yoga sagt, wir sollen rücksichtsvoll mit der Natur umgehen, mit unseren Mitmenschen und überhaupt allen Lebewesen, denn alles ist miteinander verbunden. Nirgendwo spürt man diese Verbundenheit so sehr wie auf einer solchen Reise – auch als bodenständiger Mensch, der mit Esoterik nicht viel am Hut hat. Der Glaube daran, dass sich alles fügen wird, dass wir Antworten finden werden, wenn wir bereit dafür sind und dass wir Hilfe bekommen werden, wenn wir sie brauchen, wächst auf Reisen. Wir haben inzwischen keinen Zweifel mehr daran, dass wir alles schaffen können was wir wollen.
Über die Autorin
Ramona Pingel
Ramona ist Co-Verlegerin des WNJ-Verlags und arbeitet außerdem als Freie Lektorin. Vor ihrer gemeinsamen Reise mit Uli lebte sie im beliebtesten Viertel Kölns, hatte einen guten Job in einem großen Verlagshaus und genoss das Leben in der Großstadt. Doch nach der Reise kam das alles nicht mehr infrage. Sie wollte unabhängig sein und näher an der Natur. Heute leben Uli und sie, zusammen mit Hund Spencer, in einem Häuschen in der Vulkaneifel, direkt am Waldrand. Ihre freie Zeit verbringt sie am liebsten mit Gärtnern, Yoga und Wandern.
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